Wolfgang Otte
Die Finanzdienstleistungsbranche liefert den mit Abstand größten Beitrag zum Bruttoinlandsprodukt im Vereinigten Königreich. London ist der größte Finanzplatz der Welt - viele Banken, Versicherungen und andere Finanzdienstleister haben hier ihren Hauptsitz. Die Frage nach den Auswirkungen des Brexit auf die Finanzdienstleistungsbranche gehört deshalb zu den am meisten diskutierten. In einer ersten Reaktion zu den Auswirkungen des Brexit auf internationale Großbanken wurde diskutiert, ob diese zukünftig Geschäftsaktivitäten aus London in das Gemeinschaftsgebiet verlagern werden. Anlass hierfür können steuerliche, regulatorische aber auch strategische Überlegungen sein. Ohne dass damit gleich der Untergang des Finanzplatzes London verbunden wäre, könnte eine der ersten Folgen des Brexit also die Aufwertung anderer Finanzplätze sein.
Ähnliche Konsequenzen könnten sich auch durch die im Falle eines EU-Austritts Großbritanniens ggf. entfallende Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit für britische Kreditinstitute ergeben. Viele Kreditinstitute verfügen aktuell nur über eine Zulassung innerhalb des Europäischen Wirtschaftsraumes und wickeln darüber ihr gesamtes europäisches Geschäft ab. London ist ohne jeden Zweifel der Finanzplatz, der aktuell von dieser Regelung am meisten profitiert. Sollte London zukünftig von dieser Privilegierung ausgeschlossen werden, könnte auch hiermit eine Aufwertung anderer Finanzplätze verbunden sein.
Neben möglichen langfristigen Auswirkungen eines Brexit auf die strategische Ausrichtung der Finanzdienstleistungsbranche in der EU und dem Vereinigten Königreich gibt es auch eine Reihe kurzfristiger Auswirkungen auf die Institute. Mit dem Bekanntwerden des Ergebnisses des Referendums hat die Volatilität der Märkte zugenommen. Auch wenn die meisten Aktienmärkte sich nach einem anfänglichen Kursverfall wieder stabilisiert haben, ist zu erwarten, dass das Britische Pfund nachhaltig schwächer notiert. Die Reaktionen des Marktes wurden von vielen Unternehmen der Finanzdienstleistungsbranche so nicht vorhergesehen. Es wird zeitnah zu überprüfen sein, ob die von den Instituten verwendeten Stressszenarien in Ansehung der eingetretenen Ereignisse anzupassen sind und mit welchen Annahmen Institute in den bevorstehenden Monaten bzw. Jahren der Ungewissheit arbeiten. Die sich hieraus ergebenden Konsequenzen für die Risikosituation und das Risikodeckungspotenzial eines jeden Instituts wird die Frage sein, mit der sich die Aufsichtsräte und die Aufsichtsbehörden von Instituten intensiv auseinandersetzen werden.
Nicht zuletzt wird die Finanzdienstleistungsbranche auch die Auswirkung eines Brexit auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung zu beobachten haben. Jede Schwächung einer Volkswirtschaft schlägt sich indirekt auch in den Bilanzen der Unternehmen der Finanzdienstleistungsbranche nieder. Die mit einer Schwächung der Volkswirtschaft verbundenen steigenden Kreditrisiken schwächen die Ertragskraft und gleichzeitig auch das Eigenkapital der Branche. Dies erklärt auch die ersten Reaktionen internationaler Banken, die eine Zurückhaltung bei der Vergabe von Immobilienkrediten im Großraum London, sowie eine Überprüfung der Bewertung von Immobiliensicherheiten angekündigt haben.
BDO hat die die Erfahrungen und Kompetenzen aus der Prüfung und Beratung von Unternehmen der Finanzdienstleistungsbranche im Branchencenter Financial Services gebündelt. Unsere Spezialisten für aufsichtsrechtliche, steuerliche und gesellschaftsrechtliche Fragestellungen stehen Ihnen jederzeit als Gesprächspartner zur Verfügung, wenn Sie die aktuellen Entwicklungen zum Anlass nehmen möchten, um Ihre individuelle Betroffenheit zu diskutieren.
Wolfgang Otte